Mutter, Vater, Kind – wenn Kinder dieses alte Rollenspiel gemeinsam spielen, sind sie sich meist einig, was die Familienform angeht. Doch was ist in der heutigen Zeit eigentlich Familie?
Noch bis vor wenigen Jahrzehnten war die Gemeinschaft aus miteinander verheirateten Eltern und leiblichen Kindern das einzig akzeptierte und gelebte Familienmodell. Heute sieht die Realität gänzlich anders aus. Alternative Modelle werden vielfältiger und häufiger. Durch den immer weiter fortschreitenden Rückgang traditioneller Familien stellt sich zunehmend die Frage: Was bedeutet Familie überhaupt? Basiert sie auf Blutsverwandtschaft, auf Gefühle und Liebe füreinander oder auf der rechtlichen und eventuell religiösen Anerkennung?
Die Vielfalt der Familienformen
In der heutigen Zeit ist das klassische Familienmodell nicht mehr die einzige Form des familiären Lebens. Es bilden sich mehr und mehr verschiedene Modelle in der Gesellschaft. Dieser zunehmende Wandel des Familienlebens ist auf die grossen Veränderungen unserer Lebensumstände zurückzuführen. Scheidungen sind heute gängig und gesellschaftlich akzeptiert. Die Arbeitswelt hat sich verändert, so dass viel mehr Frauen als früher studieren und/oder berufstätig sind. Dazu kommt die Enttabuisierung der homosexuellen Lebensform. Die Menschen unterliegen beruflich und gesellschaftlich immer grösseren und schnelleren Veränderungen, was die traditionelle, lebenslang bestehende Familie immer mehr in den Hintergrund drängt. Zu den gängigen, modernen Familienformen zählen die unterschiedlichsten Modelle wie Patchwork-Familien, unverheiratete Paare mit Kindern, Eltern mit Adoptivkindern, Regenbogenfamilien, alleinerziehende Mütter und Väter oder auch Mehrgenerationenfamilien, Wohngemeinschaften, Pflegefamilien und Kommunen. Viele Bezeichnungen, eine Frage: Was macht eine Familie wirklich aus?
Qualität vor Bezeichnung
Die zentrale und lebenswichtige Rolle, die Familie für uns Menschen spielt, zeigt, dass ein glückliches Leben sehr stark von einem gelungenen und zufriedenen Familienleben abhängt. Während im gesetzlich verankerten Familienrecht meist von Familie im Sinne des klassischen Modells, also Ehepaaren mit deren leiblichen Kindern, ausgegangen wird, sind es für die meisten Menschen die Qualität der Familie und die Verbundenheit, die ein gelungenes Familienleben ausmachen. Besonders für die Kinder einer Familie – egal welcher Form – scheinen Stabilität, Verlässlichkeit und Liebe eine viel wichtigere Rolle zu spielen als Verwandtschafts- und Geschlechterverhältnisse. So wird ein Kind, das in einer gut funktionierenden und liebevollen Patchwork-Familie lebt, wahrscheinlich glücklicher und kindgerechter aufwachsen können als ein Kind, das in einer traditionellen, aber nicht harmonierenden Familienstruktur aufwächst.
Neue Familienformen erfordern auch ein neues Adoptionsrecht
Geht man von diesem sehr hohen Stellenwert der Familie und vor allem der Qualität der Familie aus, stellt sich auch die Frage, ob ein homosexuelles Paar mit einem Adoptivkind nicht eine ebenso funktionierende Lebensgemeinschaft bilden kann wie ein heterosexuelles Paar mit Adoptivkind oder ein traditionelles Ehepaar mit leiblichen Kindern. Die politische Kontroverse über dieses Thema, momentan auch in der Schweiz, zeigt die unterschiedlichen Meinungen hierzu. In der Schweiz ist es homosexuellen Paaren in eingetragener Partnerschaft verboten, Kinder zu adoptieren. Dennoch gibt es bereits heute zwischen 6’000 und 30’000 Kinder in der Schweiz, welche in sogenannten Regenbogenfamilien aufwachsen. Unter anderem aus diesem Grund will der Bundesrat nun homosexuellen Paaren zumindest die Stiefkindadoption im Partnerschaftsgesetz erlauben. Das heisst, dass künftig die leiblichen Kinder der Partnerin oder des Partners adoptiert werden könnten. Die gemeinschaftliche Adoption eines Kindes soll jedoch trotzdem weiterhin nicht möglich sein.
Bei Fragen des Adoptionsrechts steht das Kindeswohl im Vordergrund. Es gibt keine fundierten Hinweise darauf, dass Kinder in alternativen Familienverhältnissen anders oder gar benachteiligt aufwachsen, nur weil die Familie nicht den traditionellen Vorstellungen entspricht. So lange die Qualität der Familie eine liebevolle und stabile Umgebung für ein Kind garantiert, kann somit kein Unterschied zwischen den verschiedenen Partnerschaftsmodellen der Eltern gemacht werden. Unabhängig von Geschlecht und gesetzlicher Verbindung sind alle Partnerschaften von den gleichen Faktoren, wie beispielsweise Trennung, bedroht. Wie eine Lebensgemeinschaft gestaltet ist, dürfte Kindern ziemlich gleichgültig sein, solange sie sich geborgen fühlen und von den Eltern die entsprechende Liebe und Fürsorge erhalten.
Die Familien definieren Familie
Liebe und Geborgenheit, Stabilität und Sicherheit, Rückzug und Zuhause – dies sind alles Begriffe, die eine Familie definieren. In welcher Form aber die Familie gelebt wird, ist individuell. Die beteiligten Personen entscheiden selbst, wann sie eine Familie sind. Mutter und Tochter, die zu zweit leben, können sich ebenso als vollständige und glückliche Familie fühlen wie eine grosse Patchwork-Familie, eine Pflegefamilie, ein kinderloses Paar oder gar eine Wohngemeinschaft aus Freunden. Das Stichwort ist das Gefühl. Sich als Teil einer Familie zu fühlen kann nicht durch Gesetze, Bezeichnungen, Eheschliessungen und Geburtsurkunden definiert werden.
Denn nicht aus Vorschrift, Tradition oder blosser Gewohnheit, sondern aus Liebe entsteht Familie.